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Sansibar oder der letzte Grund
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Selten ein Buch mit so vielen sanften und passenden Analogien und Metaphern über die grossen Fragen des Lebens gelesen; Alfred Andersch überrascht mich spontan mit einem Werk, das ich eigentlich bereits seit zehn Jahren kenne (zumindest hat es mein Germanistikdozent damals als besonders lesenswert erwähnt).
Mit seinem wunderbaren Schreibstil beschreibt Andersch die Gedanken, Träume und Ängste mehrerer Protagonisten, welche sich 1937 in einer kleinen norddeutschen Hafenstadt aus unerhofften Gründen begegnen. Oberflächlich ist zu erkennen, dass die Anderen, die Nationalsozialisten, im Land die Macht an sich gerissen haben und nun für etliche Charaktere Gefahr an Leib und Leben besteht. Der Handlungsstrang wäre bereits so spannend und lesenswert, doch hat Andersch geschickt viel Sanftes und Verstecktes eingewoben, was sein Werk für mich besonders auszeichnet.
So ist das Grundthema des Buches eigentlich der menschliche Konflikt zwischen Angst und Mut; wobei die 'Angst' vor allem mit den Schlagwörtern Partei, Sinn, Auftrag, Lehre (Religion) und Kindheit vertreten ist, und der 'Mut' sinnbildlich mit Freiheit, Träumen, Entdecken, Aufbruch, Aufrechtsein vorkommt. Die Protagonisten kämpfen allem voran mit sich selbst wenn es darum geht, sich der Bedrohung der Anderen entgegenzustellen, ihre eigene Persönlichkeit zu leben und Bedürftigen zu helfen. Äusserst lesenswert.
Anfolgend ein paar Passagen, die mir geblieben sind:
Nun, dann machen Sie sich noch nicht zu viele Hoffnungen, Kind, sagte Helander, zu Judith gewendet. Eine Jüdin, dachte er, und: ob sie getauft ist? Es ist gleichgültig, gab er sich zur Antwort, wer von den Anderen gejagt wird, ist getauft.
Ich habe alles falsch gemacht, sagte er.
Nein, erwiderte Judith, Sie retten mich doch.
Das ist zu wenig, dachte Gregor; man kann alles richtig machen und dabei das Wichtigste versäumen.
Helander über Gregor: Sie glauben an nichts mehr, dieser junge Mensch glaubt nicht mehr an seine Partei, und er wird niemals an die Kirche glauben, aber immer wird er bemüht sein, das Richtige zu tun, und weil er an nichts glaubt, wird er es unauffällig tun und sich aus dem Staub machen, wenn er es getan hat. Was aber treibt ihn an, das Richtige zu tun? fragte sich der Pfarrer. Das Nichts treibt ihn an, das Bewusstsein, in einem Nichts zu leben, und der wilde Aufstand gegen das leere, kalte Nichts, der wütende Versuch, die Tatsache des Nichts, dessen Bestätigung die Anderen sind, wenigstens für Augenblicke aufzuheben. Wir unterscheiden uns voneinander, dieser Mensch, der sich Gregor nennt, und ich: er ist zum Nichts verurteilt, und ich zum Tode.
Mit seinem wunderbaren Schreibstil beschreibt Andersch die Gedanken, Träume und Ängste mehrerer Protagonisten, welche sich 1937 in einer kleinen norddeutschen Hafenstadt aus unerhofften Gründen begegnen. Oberflächlich ist zu erkennen, dass die Anderen, die Nationalsozialisten, im Land die Macht an sich gerissen haben und nun für etliche Charaktere Gefahr an Leib und Leben besteht. Der Handlungsstrang wäre bereits so spannend und lesenswert, doch hat Andersch geschickt viel Sanftes und Verstecktes eingewoben, was sein Werk für mich besonders auszeichnet.
So ist das Grundthema des Buches eigentlich der menschliche Konflikt zwischen Angst und Mut; wobei die 'Angst' vor allem mit den Schlagwörtern Partei, Sinn, Auftrag, Lehre (Religion) und Kindheit vertreten ist, und der 'Mut' sinnbildlich mit Freiheit, Träumen, Entdecken, Aufbruch, Aufrechtsein vorkommt. Die Protagonisten kämpfen allem voran mit sich selbst wenn es darum geht, sich der Bedrohung der Anderen entgegenzustellen, ihre eigene Persönlichkeit zu leben und Bedürftigen zu helfen. Äusserst lesenswert.
Anfolgend ein paar Passagen, die mir geblieben sind:
Nun, dann machen Sie sich noch nicht zu viele Hoffnungen, Kind, sagte Helander, zu Judith gewendet. Eine Jüdin, dachte er, und: ob sie getauft ist? Es ist gleichgültig, gab er sich zur Antwort, wer von den Anderen gejagt wird, ist getauft.
Ich habe alles falsch gemacht, sagte er.
Nein, erwiderte Judith, Sie retten mich doch.
Das ist zu wenig, dachte Gregor; man kann alles richtig machen und dabei das Wichtigste versäumen.
Helander über Gregor: Sie glauben an nichts mehr, dieser junge Mensch glaubt nicht mehr an seine Partei, und er wird niemals an die Kirche glauben, aber immer wird er bemüht sein, das Richtige zu tun, und weil er an nichts glaubt, wird er es unauffällig tun und sich aus dem Staub machen, wenn er es getan hat. Was aber treibt ihn an, das Richtige zu tun? fragte sich der Pfarrer. Das Nichts treibt ihn an, das Bewusstsein, in einem Nichts zu leben, und der wilde Aufstand gegen das leere, kalte Nichts, der wütende Versuch, die Tatsache des Nichts, dessen Bestätigung die Anderen sind, wenigstens für Augenblicke aufzuheben. Wir unterscheiden uns voneinander, dieser Mensch, der sich Gregor nennt, und ich: er ist zum Nichts verurteilt, und ich zum Tode.
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Sansibar oder der letzte Grund.
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August 4, 2017
– Shelved
August 4, 2017
– Shelved as:
to-read
September 3, 2017
–
Started Reading
September 3, 2017
– Shelved as:
literature-german
September 8, 2017
– Shelved as:
favourites
September 8, 2017
– Shelved as:
world-wars
September 8, 2017
– Shelved as:
philosophical
September 9, 2017
–
Finished Reading