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Der Golem
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Ein wenig widerwillige vier Sterne, Verbeugung vor Meyrinks handwerklichen Geschick als Meister der Neurosen, aber für mich ist der Roman eher Kunsthandwerk als ein Meisterwerk. Diese Lektüre, eine Buddy-Read mit Alexandra war für mich die zweite Auseinandersetzung mit dem Werk. Die erste war eine jener Rundfunklesungen in halbstündlichen Folgen, die ich aber nicht konstant verfolgen konnte; - Lehrveranstaltungen am Nachmittag. Sprich, ich verlor irgendwann komplett den Faden und wünschte mir nur noch, dass die Quälerei möglichst bald ein Ende nehmen würde.
Beim Neustart dieses Jahr war ich zunächst verstört über so viel Menschenhass und eine Umgebung voll niederträchtigem Gezücht, so sehr, dass ich die Namen gleich wieder vergessen hatte und nach dem letzten noch mal das erste Kapitel in Angriff nehmen musste, die Verwirrung gehört wohl zum Konzept, schließlich hat der Erzähler Athanasius Pernath keinerlei Erinnerung an sein früheres Leben oder eine Kindheit, war möglicherweise früher einmal wahnsinnig. Auslöser von seltsamen Gesichten und Eindringen in fremde Welten, das von außen unzugängliche Versteck des Golems und andere Zeiten ist die Übergabe eines Kabbala-Buches, das von dem seltsamen Geschöpf in die Werkstatt des Antiquars und Gemmenschneiders gebracht wird. Die Kombination aus Mystik und Verfolgungswahn hat mich sehr angesprochen, der zeitweilige Verdacht, vielleicht selbst der Golem zu sein und vor einem Schicksal davon zu laufen, wurde großartig umgesetzt. Drum herum montiert waren allerlei Schauergeschichten aus dem Elend des Ghettos, der Grellheit sich zwar in mein Gedächtnis einbrannte, die aber schon ein Stück gegenüber den mystisch-paranoiden Exkursen abfielen.
Die grotesken Ghetto-Gestalten wie die seltsamen Liebesgeschichten APs haben mich eher irritiert,
ich will da jetzt keine Extra-Minuspunkte für alles vergeben, für alles, was danach noch in Sachen Antisemitisumus passiert ist, die Täter haben sich in erster Linie mit anderen Quellen motiviert, bzw. Werken, die im Kontext der NS-Gesellschaft entsprechend funktioniert haben. Gerade populäre ²¹²Ô²õ³Ùä²Ô»å¾±²µ±ð Autoren wie Charles Dickens*, bzw. dessen deutsche Nachfahren Gustav Freytag und Wilhelm Raabe bzw. als spätere Trivialisierung Artur Dinter, haben mit jüdischen Jugendfreunden, die ihren deutschen/arischen Freunden im weiteren Leben permanent geschadet haben, sicherlich für mehr gutes Gewissen bei den Angehörigen von mehr oder weniger gebildeten Kreisen gesorgt, als das Dritte Reich jenen Maßnahmenkreislauf in Gang setzte, der in der Verzweiflungstat Holocaust gipfelte. Der Kontext (neudeutsch Framing) bestimmt die Reaktionsmuster. Sogar Veit Harlans seinerzeit als Scharfmacher eingesetzter Streifen Jud Süß, dürfte heutzutage nicht mal einen eingefleischten Antisemiten zur kleinsten gewalttätigen Regung motivieren. Ansonsten galt damals und gilt auch noch heute: Gib den Leuten ein gutes Gewissen, auf andere Leute einzuschlagen und es finden sich immer genügend Dumme, die sich gern als bessere Menschen fühlen, wenn Leuten mit der falschen Weltanschauung, Rasse etc. auch noch dabei weh tun können.
Die seltsame Dreiecksgeschichte zwischen AP. der Gräfin und dem Studenten hat mich schon ziemlich irritiert, die Gefühle des Gemmenschneiders für das Nachbarsmädle aus einer anderen Dimension regelrecht genervt, obwohl sich auf den zweiten Blick ein Lichtblick in Sachen Quellensuche daraus ergab.
Wilhelm Raabes Erzählung ±á´Ç±ô³Ü²Ô»å±ð°ù²ú±ôü³Ù±ð spielt ebenfalls im Prager Ghetto und behandelt eine seltsame Liebesgeschichte, die den üblichen Naturgesetzen zu widersprechen scheint. Ich will hier nichts spoilern, zumal es ein Reclamheft (/book/show/1...) mit ziemlich instruktivem Nachwort gibt, das auch den gern von Antisemiten instrumentalisierten Hungerpastor, bzw. die Verwahrung des Autors gegen entsprechende Vorwürfe thematisiert. Im Rückblick erscheint es mir so, als hätte Meyrink, ein paar üble Karikaturen, bzw. ein Missbildungskabinett zu Raabes Vorlage addiert und das Ganze mit reichlich Oskar Weininger aufgegossen. Die vier Sterne würdigen eher meinen Eindruck während der Lektüre, aber der Golem gehört garantiert nicht zu den Romanen, die erst mit etwas Abstand zur vollen Bedeutung erblühen. Im Nachhinein habe ich schon einen ziemlich fiesen Nachgeschmack. Ans Herz legen würde ich dieses Buch jedenfalls niemand, eine Drittlektüre von ±á´Ç±ô³Ü²Ô»å±ð°ù²ú±ôü³Ù±ð ist auf jeden Fall deutlich wahrscheinlicher, auch wenn ein paar Raabe Erst- und Zweitlektüren Vorfahrt haben.
* ausführliche Darstellung in meiner Rezi von Oliver Twist: /book/show/5...
Beim Neustart dieses Jahr war ich zunächst verstört über so viel Menschenhass und eine Umgebung voll niederträchtigem Gezücht, so sehr, dass ich die Namen gleich wieder vergessen hatte und nach dem letzten noch mal das erste Kapitel in Angriff nehmen musste, die Verwirrung gehört wohl zum Konzept, schließlich hat der Erzähler Athanasius Pernath keinerlei Erinnerung an sein früheres Leben oder eine Kindheit, war möglicherweise früher einmal wahnsinnig. Auslöser von seltsamen Gesichten und Eindringen in fremde Welten, das von außen unzugängliche Versteck des Golems und andere Zeiten ist die Übergabe eines Kabbala-Buches, das von dem seltsamen Geschöpf in die Werkstatt des Antiquars und Gemmenschneiders gebracht wird. Die Kombination aus Mystik und Verfolgungswahn hat mich sehr angesprochen, der zeitweilige Verdacht, vielleicht selbst der Golem zu sein und vor einem Schicksal davon zu laufen, wurde großartig umgesetzt. Drum herum montiert waren allerlei Schauergeschichten aus dem Elend des Ghettos, der Grellheit sich zwar in mein Gedächtnis einbrannte, die aber schon ein Stück gegenüber den mystisch-paranoiden Exkursen abfielen.
Die grotesken Ghetto-Gestalten wie die seltsamen Liebesgeschichten APs haben mich eher irritiert,
ich will da jetzt keine Extra-Minuspunkte für alles vergeben, für alles, was danach noch in Sachen Antisemitisumus passiert ist, die Täter haben sich in erster Linie mit anderen Quellen motiviert, bzw. Werken, die im Kontext der NS-Gesellschaft entsprechend funktioniert haben. Gerade populäre ²¹²Ô²õ³Ùä²Ô»å¾±²µ±ð Autoren wie Charles Dickens*, bzw. dessen deutsche Nachfahren Gustav Freytag und Wilhelm Raabe bzw. als spätere Trivialisierung Artur Dinter, haben mit jüdischen Jugendfreunden, die ihren deutschen/arischen Freunden im weiteren Leben permanent geschadet haben, sicherlich für mehr gutes Gewissen bei den Angehörigen von mehr oder weniger gebildeten Kreisen gesorgt, als das Dritte Reich jenen Maßnahmenkreislauf in Gang setzte, der in der Verzweiflungstat Holocaust gipfelte. Der Kontext (neudeutsch Framing) bestimmt die Reaktionsmuster. Sogar Veit Harlans seinerzeit als Scharfmacher eingesetzter Streifen Jud Süß, dürfte heutzutage nicht mal einen eingefleischten Antisemiten zur kleinsten gewalttätigen Regung motivieren. Ansonsten galt damals und gilt auch noch heute: Gib den Leuten ein gutes Gewissen, auf andere Leute einzuschlagen und es finden sich immer genügend Dumme, die sich gern als bessere Menschen fühlen, wenn Leuten mit der falschen Weltanschauung, Rasse etc. auch noch dabei weh tun können.
Die seltsame Dreiecksgeschichte zwischen AP. der Gräfin und dem Studenten hat mich schon ziemlich irritiert, die Gefühle des Gemmenschneiders für das Nachbarsmädle aus einer anderen Dimension regelrecht genervt, obwohl sich auf den zweiten Blick ein Lichtblick in Sachen Quellensuche daraus ergab.
Wilhelm Raabes Erzählung ±á´Ç±ô³Ü²Ô»å±ð°ù²ú±ôü³Ù±ð spielt ebenfalls im Prager Ghetto und behandelt eine seltsame Liebesgeschichte, die den üblichen Naturgesetzen zu widersprechen scheint. Ich will hier nichts spoilern, zumal es ein Reclamheft (/book/show/1...) mit ziemlich instruktivem Nachwort gibt, das auch den gern von Antisemiten instrumentalisierten Hungerpastor, bzw. die Verwahrung des Autors gegen entsprechende Vorwürfe thematisiert. Im Rückblick erscheint es mir so, als hätte Meyrink, ein paar üble Karikaturen, bzw. ein Missbildungskabinett zu Raabes Vorlage addiert und das Ganze mit reichlich Oskar Weininger aufgegossen. Die vier Sterne würdigen eher meinen Eindruck während der Lektüre, aber der Golem gehört garantiert nicht zu den Romanen, die erst mit etwas Abstand zur vollen Bedeutung erblühen. Im Nachhinein habe ich schon einen ziemlich fiesen Nachgeschmack. Ans Herz legen würde ich dieses Buch jedenfalls niemand, eine Drittlektüre von ±á´Ç±ô³Ü²Ô»å±ð°ù²ú±ôü³Ù±ð ist auf jeden Fall deutlich wahrscheinlicher, auch wenn ein paar Raabe Erst- und Zweitlektüren Vorfahrt haben.
* ausführliche Darstellung in meiner Rezi von Oliver Twist: /book/show/5...
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Der Golem.
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Reading Progress
June 10, 2021
– Shelved
June 10, 2021
– Shelved as:
01-im-vorlauf
June 10, 2021
– Shelved as:
dl-fds-dekadenz
July 4, 2021
–
Started Reading
July 4, 2021
–
19.0%
"Die Misanthropie des Erzählers wirkt erst einmal abstoßend, zumal er keine Schändlichkeit im Ghetto auslässt. In eine Reihe schrecklicher Anekdoten eingebettet ist die Einsicht in ein vermauertes früheres Bewusstsein, das für die Freunde und Nachbarn eine Zeit des Wahnsinns darstellt. Die eigene geistige Krise ist mit den Legenden um den Golem gekoppelt, der Pernaths Alltag kreuzt und ein rätselhaftes Buch abgibt."
July 5, 2021
–
40.0%
"Herrliches Verwirrspiel voll Mystik, unverhofft gefundenen Geheimgängen und existenziellem Grauen. Ein absolutes Meisterwerk des Unbehagens und der unerwünschten Lichtblicke. Großartig komponiert."
July 6, 2021
–
49.0%
"Meyrink schürzt den Knoten weiter und gießt im Bekenntnis des Studenten Charussek jede Menge jüdischen Selbsthass nach.
Der führt einen permanenten Rachefeldzug gegen seinen Vater, da der Cs Mutter aus Gründen emotionaler Autonomie auf dem Gipfel der Liebe in ein Freudenhaus verkauft hat und dabei neben dem Trennungsschmerz ein gewisses Händlerglück des Weggebens empfunden hat. Verquere Gefühlslogik."
Der führt einen permanenten Rachefeldzug gegen seinen Vater, da der Cs Mutter aus Gründen emotionaler Autonomie auf dem Gipfel der Liebe in ein Freudenhaus verkauft hat und dabei neben dem Trennungsschmerz ein gewisses Händlerglück des Weggebens empfunden hat. Verquere Gefühlslogik."
July 7, 2021
–
57.0%
"Kriegserklärung zwischen Wassertrum und Pernath. Der windige Händler betritt unter dem Vorwand eines Reparaturauftrags für eine Taschenuhr den Laden, die wohl dem ermordeten Versicherungsvertreter gehört hat und will den Kunsthandwerker mit dessen Liebe zu Angelina dazu erpressen, gegen Savioli Partei zu ergreifen. Insgesamt wird mir das Buch jetzt zu episodisch bzw. Prager Schule wie Hermann Ungar und Kafka."
July 8, 2021
–
84.0%
"Pernath fällt auf einen dummen Trick herein und gerät in die Mühlen der k.u.k.-Justiz, die nur das Geständnis kennt. Jetzt gewinnt auf einmal auch das Bataillon an Bedeutung. Während er hinter Gittern sitzt, läuft das Drama im Ghetto weiter und Pernath liefert sogar unfreiwillig das Werkzeug zur Rache an Wassertrum, der ihn mittels der geschenkten Uhr des vermissten Versicherungsfritzen gelinkt hat."
July 8, 2021
–
Finished Reading
Die mageren 3,5 müssen es aber trotzdem bei mir sein, denn ich kann auch in historischen Werken mit dem ganz gut versteckten Antisemitismus nix anfagen, da gruselt es mich mehr als bei den gruseligen Beschreibungen. Klar ist Meyrink kein offener glühender Antisemit, aber er bedient vortrefflich verdeckt und ziemlich manipulativ die antisemitischen Codes. Ja, seine fast allesamt jüdischen Figuren frönen dem Selbsthass und es kommt kein einziger Tscheche vor, der offen antisemisische Aussagen tätigt. Aber die den selbsthassenden Figuren zugeschriebenen Eigenschaften sind halt typisch jene, die den Juden vorgeworfen werden. Geiz, Geldgier, heimlicher Reichtum, Hässlichkeit, ungesundes Blut, Rücksichtslosigkeit....
Das ist für mich insofern problematisch, da ich schon sehr viele Darstellungen jüdischer Schriftsteller von jüdischem Leben gelesen habe und vor dem Holocaust war keine von solchem Selbsthass geprägt, der eben die typischen zugesagten jüdischen Eigenschaften fokussierte, dieser Selbsthass war nur eine Projektion und eine sich selbst erfüllende Prophezeihung die der Antisemitismus und der Holocaus angerichtet hat. Im Gegenteil, die Wiener Juden des Mittelstands waren um 1900 ein fröhliches großzügiges sehr bildungsbewußtes Völkchen und die chassidischen Juden des Ostens waren tiefreligiöse Menschen auch total ungeizig und nur ein bisschen auf Leiden programmiert. Wenn sie Selbsthass zeigten und im exzessiven Leiden aufgingen wie Hiob, dann in ganz normalen anderen menschlichen Gebieten. Sie litten so wie andere Menschen also ich meine nichtjüdische Österreicher, Tschechen und Deutsche auch am Tod von Kindern, an normalen Krankheiten an der Armut ohne grausliche Gier und Rücksichtslosigkeit und anschließend natürlich am Krieg.
Meyrink beschreibt ja dieses von antisemitischen Selbsthass-Codes geprägte jüdische Leben nicht aus Innensicht, denn er ist Deutscher - dies ist also erstens eine Zuschreibung und entsprach zumindest vor den Nazis auch nie der Realität. Aus diesem Grund kann ich dieser ganzen auf naiv getrimmten Beschreibung der furchtbaren Zustände in der Judenstadt Prags nicht die gute Absicht des Autors abkaufen. So eine geballte Ladung aus typisch auf jüdisch bösartigen Menschen gab es nirgends nicht Mal in den ärmsten Vierteln. Eine oder zwei Figruen vielleicht in jedem Wohnviertel gibt es ein paar asoziale Arschlöcher und Verbrecher aber nicht in dieser Dichte.
Ein kleiner Gedankensprung von mir noch: Was die Konzentrationslager anschließend mit den Juden gemacht haben - nämlich dass sie durch die Folter den täglichen Überlebenskampf und die psychopathischen Methoden durch die Nazis dazu gebracht wurden, sich genauso zu verhalten, wie man sie vorher immer fälschlich beschrieben hat, beschreibt Edgar Hilsenrath extrem gut in Nacht. Dass so was aber nicht nur mit Juden, sondern mit allen Menschen funktioniert, beschreibt das Stanford Experiment