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Alexander Carmele's Reviews > Eurotrash

Eurotrash by Christian Kracht
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Read 2 times. Last read March 9, 2021 to March 11, 2021.

Untot im Rausch durch die Schweiz.

Ausführlicher, vielleicht begründeter auf

Folgt man dem postmodernen Zeitgeist a la Lyotard befinden wir uns in einer Zeit nach dem Ende großer Erzählungen, d.h. in der nur noch sich selbst transparente, oder untote Erzählungen hin und her geistern, kleine Erzählungen voller verwobener und irrelevant gewordener Details existieren können. Mischt man noch Klischees, Erfahrungsarmut in die These, würzt sie mit der Schweiz, dem Nationalsozialismus, Demenz und Familienproblematik, sexuellen Missbrauch und Sadomasochismus, und garniert dieses Gebräu mit Anekdoten aus dem Spiegel-Magazin der letzten sieben Jahrzehnte, so erhält man, schüttelt und rüttelt man nur genug, den neuen Roman von Christian Kracht: „Eurotrash�, der sich wie ein Who-is-Who der bundesrepublikanischen Plattitüde eines inexistenten Literatursalons gehobener Söhne und Töchter mit Abschluss in Germanistik liest und auch von einer künstlichen Intelligenz geschrieben werden hätte können. Siehe hierzu das bald erscheinende Buch Daniel Kehlmanns �Mein Algorithmus und ich: Stuttgarter Zukunftsrede�.

Ich hatte das Gefühl, ich hätte mein Leben lang nur Plattitüden von mir gegeben. Nein, ich wusste, ich hatte mein Leben lang nur Plattitüden von mir gegeben. Niemals war irgendetwas, was ich sagte, auf irgendeine Weise relevant gewesen, nie konnte mein Gesprochenes es mit meinem Inneren aufnehmen.

Je mehr man sich also der Sprache Krachts überlässt, desto mehr erkennt man ein hintergründiges Summen der sich verselbständigt habenden Textverarbeitungssoftware � Etwas schreibt, nur eben kein Gegenüber mehr, das sich zeigt. Der Diskurs selbst schreibt sich in den Geist, und der Geist schreibt sich zurück in den Diskurs, und am Ende bleibt nichts mehr der Überraschung oder dem Zufall überlassen. Die altersschwache Mutter trinkt hierzu den ganzen Roman über Wodka oder Kochwein und wirft Phenobarbital-Pillen ein. Die ganze Erzählung spannt sich darum, wie viel Alkohol, welchen Alkohol, wie viele Pillen, welche Pillen genommen werden dürfen, können und müssen. Begleitend gibt der Erzähler, der sich Christian Kracht nennt, aber mit Daniel Kehlmann verwechselt wird, belanglose, halb humoristische, teilweise scheußliche Kurzgeschichten zum Besten, bspw. wie eine Mutter mit Kind auf dem Meer verdurstet, oder einem Piloten die künstliche Nase wegschmilzt, oder ein SS-Mitglied sich von einem isländischen Au-Pair-Mädchen mit Stacheldraht an einen Küchenstuhl fesseln lässt, während dieser eine Tibet-Nazi-Mission plant.

Meine Güte, dieses Leben, was für ein perfides, elendes, kümmerliches Dramolett es doch war, dachte ich, während ich weiter an die Decke des Hotelzimmers starrte und sah, daß dies tatsächlich die ewige Wiederkunft war, unser Unvermögen, der Zeit einen Anfang zu setzen, aeternitas a parte ante […]

Fazit: Selbst mit größter Mühe wüsste ich nicht, warum man diesen Roman schreiben gar lesen sollte.

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Reading Progress

March 9, 2021 – Started Reading
March 9, 2021 – Started Reading
March 11, 2021 – Finished Reading
March 11, 2021 – Finished Reading
April 13, 2021 – Shelved

Comments Showing 1-8 of 8 (8 new)

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Savage Reader Ihre Kritik habe ich mehr genossen als Kracht's Buch.


message 2: by uk (new) - added it

uk Mit viel Vergnügen, Gewinn + Kurzweil die klugen Einlassungen zu den literarischen Unbilden sich postmodern emporlüpfender Textgenerierungssoftwareentwickler + -innen etc. pp. usw. usf. gelesen, wofür ich recht danke. best, uk


Alexander Carmele uk wrote: "Mit viel Vergnügen, Gewinn + Kurzweil die klugen Einlassungen zu den literarischen Unbilden sich postmodern emporlüpfender Textgenerierungssoftwareentwickler + -innen etc. pp. usw. usf. gelesen, wo..."

Das freut mich. Der Platz ist eng und die Aufmerksamkeitsspanne oft zu kurz, aber ich versuche dennoch diese neue Literatur mit der Technisierung und Maschinisierung von Sprache in Verbindung zu bringen. Mir fehlen noch die richtigen Begriffe um diese Rhetorik genauer zu analysieren, aber ich bleibe am Ball! Auffällig bspw ist, dass die Orte und die Personen völlig austauschbar sind, beinahe epochen- und länderübergreifend. Es spielt fast nie eine Rolle wo etwas spielt und worüber geredet und wer eigentlich redet - eine sehr emblematische Form.

Ich mag das "emporlüpfend", ich denke, dass der Stil tatsächlich daher rührt, dass die Texte den Schreiben selbst gar nicht mehr so richtig wichtig sind.


message 4: by Berengaria (new)

Berengaria Aua. Das saß.


Alexander Carmele Berengaria wrote: "Aua. Das saß."

Ich war enttäuscht und bin es heute noch :D


Markus Amadeus Cosma Du sprichst mir aus der Seele! Es zeigt sich das ganze Dilemma, das auch Eco in seinen Essays zum "schlechten Geschmack" behandelt: Die einzige Existenzberechtigung dieses Buches ist der, das es Menschen gibt, die den "Autoren kaufen". Trauriges spätmodernes Abendland!


Markus Amadeus Cosma *ist die (!)*


Alexander Carmele Markus Amadeus wrote: "Du sprichst mir aus der Seele! Es zeigt sich das ganze Dilemma, das auch Eco in seinen Essays zum "schlechten Geschmack" behandelt: Die einzige Existenzberechtigung dieses Buches ist der, das es Me..."

Das Problem mit Literatur wie der von Kracht, dass sie professionell im schlechten Sinne ist - nämlich leeres Geratter von herbeizitierten Allgemeinplätzen. Offenkundig hat er nichts zu erzählen, liegt in ihm kein Mitteilungsbedürfnis vor, das zur Form dränge - offenkundig, dass er sich nur genötigt fühlt, mal wieder "ein Buch zu schreiben". Ich lese das aus jeder Zeile, ein Pastiche der Einfallslosigkeit - aber hier bespielt er das Phantasma des Eitlen: Ich will gesehen werden, egal wie, auch wenn ich gar nichts zum Vorzeigen habe (wäre er doch wenigstens exhibitionistisch). Bei Kracht läutert sich dies wenigstens zu einem Profitwillen, das rettete den einen Stern, wäre er nicht noch süffisant dabei.


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