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Der Scherz
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Dieser Roman kommt unscheinbaren daher: „Der Scherz�. Dabei hätte er einen großen Titel wie „Schuld und Vergebung�, „Kerker und Freiheit� oder „Unverständnis und Einsicht� verdient. Denn dies sind die eigentlichen Themen dieses großen Romans. In diesen Dimensionen entwickelt sich über knapp 2 Jahrzehnte die Geschichte des intellektuellen Ludvik, der einfachen Arbeiterin Lucie, des Katholiken Kostka, der Mitläuferin Helena und des volksnahen Jaroslav. Die Handlung spielt in der heute nicht mehr existierenden Tschechoslowakei, genauer gesagt im Landesteil Mähren, und hier vor allem in der Bergbaustadt Ostrava und eine Provinzstadt in der mährischen Slowakei, vermutlich Uherské Hradiště statt. Dort gibt es noch den geheimnisvollen Brauch des Ritts der Könige, bei dem ein als Frau verkleideter Junge mit einer Blume in Mund mit seinem Gefolge durch die Straßen zieht.

Anlässlich dieses Festes kommt es denn auch zum großen Showdown zwischen Helena, Ludvik und Jaroslav. Die Geschichte zwischen Ludvik, Lucie und Kostka löst sich kurz zuvor auf. Zeitlich bewegen wir uns zwischen der kurzen demokratischen Phase des Landes nach dem 2. Weltkrieg, dem kommunistischen Umsturz im Februar 1948 und den nachfolgenden stalinistischen Repressionen bis in das Vorfeld des Prager Frühlings in der zweiten Hälfte der 60er Jahre.
Kann ein Roman heute noch „funktionieren�, der vor mehr als einem halben Jahrhundert geschrieben wurde und in einem Land und einer Gesellschaftsordnung spielt, die nicht mehr existieren? Der Scherz kann es. Seine Aussagen sind exemplarisch, aber von allgemeiner Gültigkeit. So stellt Kostka fest In einer Welt zu leben, in der niemandem vergeben wird, wo alle unerlösbar sind, ist dasselbe, wie in der Hölle zu leben. Hier überschneiden sich der katholische Gedanke der Sündenvergebung durch Beichte und Buße mit dem sozialistischen Ritual der Selbstkritik und Läuterung durch körperlicher Arbeit inmitten der werktätigen Bevölkerung. Als noch zentraler empfand ich aber dieses Zitat: Ich will nur sagen, dass keine große Bewegung, die die Welt verändern soll, Lächerlichmachung und Herabsetzung duldet, denn das ist der Rost, der alles zerfrißt. Insofern ist der Titel also richtig gewählt und zugleich ist Kundera in diesem 1967 erschienenen Buch der Prophet kommender Ereignisse, denn wie wir wissen, konnte das Regime die Kritik und Zuschaustellung seiner Auswüchse während des Prager Frühlings tatsächlich nicht erdulden.

Anlässlich dieses Festes kommt es denn auch zum großen Showdown zwischen Helena, Ludvik und Jaroslav. Die Geschichte zwischen Ludvik, Lucie und Kostka löst sich kurz zuvor auf. Zeitlich bewegen wir uns zwischen der kurzen demokratischen Phase des Landes nach dem 2. Weltkrieg, dem kommunistischen Umsturz im Februar 1948 und den nachfolgenden stalinistischen Repressionen bis in das Vorfeld des Prager Frühlings in der zweiten Hälfte der 60er Jahre.
Kann ein Roman heute noch „funktionieren�, der vor mehr als einem halben Jahrhundert geschrieben wurde und in einem Land und einer Gesellschaftsordnung spielt, die nicht mehr existieren? Der Scherz kann es. Seine Aussagen sind exemplarisch, aber von allgemeiner Gültigkeit. So stellt Kostka fest In einer Welt zu leben, in der niemandem vergeben wird, wo alle unerlösbar sind, ist dasselbe, wie in der Hölle zu leben. Hier überschneiden sich der katholische Gedanke der Sündenvergebung durch Beichte und Buße mit dem sozialistischen Ritual der Selbstkritik und Läuterung durch körperlicher Arbeit inmitten der werktätigen Bevölkerung. Als noch zentraler empfand ich aber dieses Zitat: Ich will nur sagen, dass keine große Bewegung, die die Welt verändern soll, Lächerlichmachung und Herabsetzung duldet, denn das ist der Rost, der alles zerfrißt. Insofern ist der Titel also richtig gewählt und zugleich ist Kundera in diesem 1967 erschienenen Buch der Prophet kommender Ereignisse, denn wie wir wissen, konnte das Regime die Kritik und Zuschaustellung seiner Auswüchse während des Prager Frühlings tatsächlich nicht erdulden.
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Der Scherz.
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Reading Progress
January 24, 2022
– Shelved
January 24, 2022
– Shelved as:
to-read
October 13, 2022
– Shelved as:
czechia-slovakia
October 13, 2022
– Shelved as:
classic
October 15, 2022
–
Started Reading
October 15, 2022
–
10.0%
"Kundera ist ein bisschen aus der Mode gekommen und das tschechische Original wurde 1967 veröffentlicht, also schon ein Klassiker. Trotzdem hat sich unsere Osteuropa Lesegruppe für diesen Vertreter der tschechischen Literatur entschieden. Ich bin gespannt, ob es seine Relevanz über Zeiten- und Regimewechsel behalten hat."
page
35
October 22, 2022
–
34.57%
"Ludvik wird wegen des titelgebende Scherzes aus Hochschule und Partei geworfen und muss seinen zweijährigen Wehrdienst bei den Bausoldaten ableisten. Aber er verliebt sich in die einfache Arbeiterin Lucie."
page
121
October 26, 2022
–
57.71%
"Ein Stelldichein mit Lucie endet als Fiasko. Lucie verschwindet und auch er verschwindet für Monate - im Gefängnis, wegen Desertation. Selbst an der Beerdigung seiner Mutter darf er nicht teilnehmen. Nach der Haft freiwillig Kumpel, darf dann aber sein Studium zu Ende bringen. Erst dann trifft er seinen Schulfreund Jaroslav wieder, der sich mit Frau und Kind als Musiklehrer in der Realität eingerichtet hat."
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202
October 30, 2022
–
68.86%
"Es kam zum geplanten Stelldichein von Ludvik und Helena, doch unter ganz anderen Vorzeichen als erwartet."
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241
November 4, 2022
–
83.71%
"Durch Kostka erfahren wir den wahren Hintergrund von Lucies Abneigung gegen die körperliche Liebe. Fesselnder sind jedoch seine eigenen Erlebnisse und Gedanken als kommunistischer Christ bzw. Christ im Kommunismus."
page
293
November 10, 2022
–
Finished Reading
Comments Showing 1-8 of 8 (8 new)
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message 1:
by
Wulf
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-
added it
Jan 24, 2022 08:28AM

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Vielen Dank, Anna Carina. Das ist das größte Kompliment, wenn eine Rezension zum Lesen bewegt.

Ich kann es nur empfehlen. Auch sprachlich und in der deutschen Übersetzung ist es eine großartiges Buch. Kaum zu glauben, dass es praktisch Kunderas Debut ist.