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Daheim
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2 bis 3 Sterne
Einmal saß ich im Zug neben einer Frau, die rasch und durstig ein Gespräch mit mir begann. Sie erklärte mir die Lage des Landes und warum Männer so und Frauen so seien. Ich war zunächst bemüht, mich zu beteiligen, dachte, dass ihre Bemerkungen mich zum Reden ermuntern sollten, merkte dann aber schnell, dass meine Meinung wenig gefragt war. Von da an verlegte ich mich darauf, ihr nicht zum Feindbild zu werden. Ohne ihren eigentlichen Ansatz und ihre Absicht zu verstehen, fürchtete ich, ich würde ihr irgendwie als Vertreter all dessen auffallen, was sie monologisierend angriff.
Ähnlich ging es mir mit Hermanns Buch "Daheim", das sich gegen jede meiner Dialog-Bemühungen stemmte und dem ich daher nach 50 Seiten eher als irritierter Zaungast folgte.
Die Geschichte einer 47-jährigen Frau, Neuankömmling in Friesland und Rekonstrukteurin ihrer Lebensgeschehnisse, ist oft lakonisch erzählt, Dialoge werden nicht als solche markiert, sie sind eingebettet in den Erzählvorgang und wirken damit wie ein Produkt der Ich-Erzählerin. Diesem subjektivierten Zugang zum Geschilderten entsprechen zahlreiche Szenen, die nicht etwa farbreich einen Neuanfang am Meer schildern wollen, sondern auf existenzielle Situationen des menschlichen Lebens verweisen.
Beispielsweise berichtet Mimi, die die Ich-Erzählerin im Norden kennenlernt, von der Legende der von Seeleuten gefangenen, vergewaltigten und gemarterten Nixe, die nach ihrer Tortur zum Sterben zurück ins Wasser geschmissen wird. Direkt an diese feministisch interpretierbare Legende schließt sich ein Absatz über Nike, die nicht nur namensmäßig an die Nixe erinnert und schon als Kleinkind an zahlende und zahlreiche Männer verschachert wurde. Nike ist ein Windfang, völlig durchgedreht und äußerlich wie innerlich ungreifbar, dennoch verliebt sich der Bruder der Ich-Erzählerin in sie. Da die beiden Szenen direkt aufeinanderfolgen, habe ich mich gefragt, was Hermann hier anregen möchte, wozu dient diese Interpretationsoffenlegung? Warum so deutlich? Ist das literarische "Verfahrensironie"? Nach dem Motto: "Guck her, Leser, du wirst Nixe und Nike ohnehin verbinden, also tu ich es gleich für dich."?
Auch die vagabundierende Tochter Ann, die lediglich aktualisierte Koordinaten an die Mutter versendet, verdeutlicht einen fundamentalen Aspekt des Lebens, den Hermann reizvoll findet: den des Stromerns, des Suchens aus den Augen der Jungen; den des Vermissens, Ersehnens, Sorgens von Seiten der Eltern.
Allzu häufige und betonte Parallelstellungen oder im Gegenteil Kontraste zwischen Figuren erhöhten meine Interpretation eines motivisch aufgeladenen Werks, das für mich selten Spaß machte. So lebt der Exmann als Messie in einer vollgemüllten Wohnung, während sie in einem nahezu leeren Haus lebt. Ein Zeichen des Neuanfangs, fern des sammelwütigen Ex? Möglich, aber zum Verständnis dieser Lebensbrüche erreichen mich Schilderungen, Gedanken, authentische Gespräche mehr als abstrakte Motiv-Malerei.
Die wiederholt reflektierte "Zersägung" im Rahmen einer angebotenen Zirkus-Attraktion vor vielen Jahren korrespondiert mit der aufgestellten Falle gegen einen Marder in der Gegenwart und betont eine grundsätzliche Freude der Autorin an anspielungsreicher "Tiefenschicht-Literatur". Wenn ich aber stets mehr raten muss, als dass ich durchblicke, mache ich irgendwann die Augen zu.
Derlei erzählerische Spielereien machen zwar prinzipiell Freude und lassen sich wunderbar reich interpretieren, -als Entfremdung, als feministischer Aufschrei, vielleicht Midlifecrisis, womöglich als augenzwinkernder Beleg, wie wenig "Daheim" diese Frau ist.
Dennoch hoffte ich beim Lesen fortwährend, dass dieses Buch nicht mitbekommen würde, wie ungeheuer anstrengend dieses literarische Unterfangen auf mich wirkte; Wie mich der neutrale und lakonische Stil immer weiter vom Geschehen wegschob, da die Selbstfindungsphase der Protagonistin ganz im Gegenteil dazu in kunstsinnig-schwierige Bilder von allgemeiner Strahlkraft getaucht ist.
Oder wie interpretiert ihr es, dass unsere Protagonistin am ersten Abend dem Bauern Arild einen bläst, während dessen Schwester Mimi daneben auf der Couch hingelümmelt gluckst und von der "Teufelei der Stunde" schwärmt?
Eine Reflexion dieser - und zahlreicher anderer aufgeladener - Verstörungs-Szenen gibt es nicht. Die Schrillheit der Figurenzeichnung und Beziehungen bleibt unaufgelöst, öffnet die Weite der Interpretation, aber auch meinen gähnenden Mund.
Mein Fazit: Eine typisch deutsche Gegenwarts-Erzählhaltung als narratives "Mischbuffet": Der Leser wird durch eine Mischung aus fragmentarischer Außenhandlung und diese emotional überwölbende oder unterwandernde Introspektive durch eine recht ereignisarme Geschichte geführt, ohne dass mir klar wäre, wozu es dient.
Einmal saß ich im Zug neben einer Frau, die rasch und durstig ein Gespräch mit mir begann. Sie erklärte mir die Lage des Landes und warum Männer so und Frauen so seien. Ich war zunächst bemüht, mich zu beteiligen, dachte, dass ihre Bemerkungen mich zum Reden ermuntern sollten, merkte dann aber schnell, dass meine Meinung wenig gefragt war. Von da an verlegte ich mich darauf, ihr nicht zum Feindbild zu werden. Ohne ihren eigentlichen Ansatz und ihre Absicht zu verstehen, fürchtete ich, ich würde ihr irgendwie als Vertreter all dessen auffallen, was sie monologisierend angriff.
Ähnlich ging es mir mit Hermanns Buch "Daheim", das sich gegen jede meiner Dialog-Bemühungen stemmte und dem ich daher nach 50 Seiten eher als irritierter Zaungast folgte.
Die Geschichte einer 47-jährigen Frau, Neuankömmling in Friesland und Rekonstrukteurin ihrer Lebensgeschehnisse, ist oft lakonisch erzählt, Dialoge werden nicht als solche markiert, sie sind eingebettet in den Erzählvorgang und wirken damit wie ein Produkt der Ich-Erzählerin. Diesem subjektivierten Zugang zum Geschilderten entsprechen zahlreiche Szenen, die nicht etwa farbreich einen Neuanfang am Meer schildern wollen, sondern auf existenzielle Situationen des menschlichen Lebens verweisen.
Beispielsweise berichtet Mimi, die die Ich-Erzählerin im Norden kennenlernt, von der Legende der von Seeleuten gefangenen, vergewaltigten und gemarterten Nixe, die nach ihrer Tortur zum Sterben zurück ins Wasser geschmissen wird. Direkt an diese feministisch interpretierbare Legende schließt sich ein Absatz über Nike, die nicht nur namensmäßig an die Nixe erinnert und schon als Kleinkind an zahlende und zahlreiche Männer verschachert wurde. Nike ist ein Windfang, völlig durchgedreht und äußerlich wie innerlich ungreifbar, dennoch verliebt sich der Bruder der Ich-Erzählerin in sie. Da die beiden Szenen direkt aufeinanderfolgen, habe ich mich gefragt, was Hermann hier anregen möchte, wozu dient diese Interpretationsoffenlegung? Warum so deutlich? Ist das literarische "Verfahrensironie"? Nach dem Motto: "Guck her, Leser, du wirst Nixe und Nike ohnehin verbinden, also tu ich es gleich für dich."?
Auch die vagabundierende Tochter Ann, die lediglich aktualisierte Koordinaten an die Mutter versendet, verdeutlicht einen fundamentalen Aspekt des Lebens, den Hermann reizvoll findet: den des Stromerns, des Suchens aus den Augen der Jungen; den des Vermissens, Ersehnens, Sorgens von Seiten der Eltern.
Allzu häufige und betonte Parallelstellungen oder im Gegenteil Kontraste zwischen Figuren erhöhten meine Interpretation eines motivisch aufgeladenen Werks, das für mich selten Spaß machte. So lebt der Exmann als Messie in einer vollgemüllten Wohnung, während sie in einem nahezu leeren Haus lebt. Ein Zeichen des Neuanfangs, fern des sammelwütigen Ex? Möglich, aber zum Verständnis dieser Lebensbrüche erreichen mich Schilderungen, Gedanken, authentische Gespräche mehr als abstrakte Motiv-Malerei.
Die wiederholt reflektierte "Zersägung" im Rahmen einer angebotenen Zirkus-Attraktion vor vielen Jahren korrespondiert mit der aufgestellten Falle gegen einen Marder in der Gegenwart und betont eine grundsätzliche Freude der Autorin an anspielungsreicher "Tiefenschicht-Literatur". Wenn ich aber stets mehr raten muss, als dass ich durchblicke, mache ich irgendwann die Augen zu.
Derlei erzählerische Spielereien machen zwar prinzipiell Freude und lassen sich wunderbar reich interpretieren, -als Entfremdung, als feministischer Aufschrei, vielleicht Midlifecrisis, womöglich als augenzwinkernder Beleg, wie wenig "Daheim" diese Frau ist.
Dennoch hoffte ich beim Lesen fortwährend, dass dieses Buch nicht mitbekommen würde, wie ungeheuer anstrengend dieses literarische Unterfangen auf mich wirkte; Wie mich der neutrale und lakonische Stil immer weiter vom Geschehen wegschob, da die Selbstfindungsphase der Protagonistin ganz im Gegenteil dazu in kunstsinnig-schwierige Bilder von allgemeiner Strahlkraft getaucht ist.
Oder wie interpretiert ihr es, dass unsere Protagonistin am ersten Abend dem Bauern Arild einen bläst, während dessen Schwester Mimi daneben auf der Couch hingelümmelt gluckst und von der "Teufelei der Stunde" schwärmt?
Eine Reflexion dieser - und zahlreicher anderer aufgeladener - Verstörungs-Szenen gibt es nicht. Die Schrillheit der Figurenzeichnung und Beziehungen bleibt unaufgelöst, öffnet die Weite der Interpretation, aber auch meinen gähnenden Mund.
Mein Fazit: Eine typisch deutsche Gegenwarts-Erzählhaltung als narratives "Mischbuffet": Der Leser wird durch eine Mischung aus fragmentarischer Außenhandlung und diese emotional überwölbende oder unterwandernde Introspektive durch eine recht ereignisarme Geschichte geführt, ohne dass mir klar wäre, wozu es dient.
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Daheim.
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Reading Progress
March 7, 2022
– Shelved
March 7, 2022
– Shelved as:
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March 8, 2022
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Started Reading
March 11, 2022
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Finished Reading
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Tobi
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Mar 11, 2022 08:16AM

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