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Das Café der Existenzialisten: Freiheit, Sein und Aprikosencocktails
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Der stumpfsinnige Titel, insbesondere Untertitel, lassen es kaum vermuten, aber das war für mich ein wirklich gutes und lehrreiches Buch über die Philosophie im 20. Jahrhundert, vor allem die Phänomenologie und den Existenzialismus. Ich bin allerdings auch nicht besonders bewandert in der Philosophie, insofern kann man nicht schnell begeistern, wenn man es als Autorin hinbekommt, mir die komplexen Gedankengänge über das Sein, das Nichts und die Zeit verständlich zu machen. Im Mittelpunkt von Sarah Bakewells Sachbuch steht das Quartett de Beauvoir, Sartre, Camus und Heidegger. Mit unserem erzkonservativen Philosophen aus dem Hochschwarzwald hatte ich mich vor kurzem erst beschäftigt, nachdem ich zwei Bücher über Hannah Arendt gelesen hatte. Da konnte ich schon die Faszination für Heideggers Gedanken nicht nachvollziehen und nach Bakewells Buch ist die Abneigung noch gewachsen. Gar nicht mal ausschließlich wegen seiner Nähe zum Nationalsozialismus, sondern wegen seiner kompletten Verneinung jeglichen Fortschritts. Dagegen ist meine Interesse an Simone de Beauvoir gewachsen, mit der ich mich bislang noch nie auseinander gesetzt habe.
Sarah Bakewells erzählt berichtet über viele Verästelungen in denen der Existenzialismus auch heute noch in anderen Werken der Kunst und des alltäglichen Lebens zu finden ist. Insbesondere die Einflüsse auf die Filmindustrie ist beeindruckend geschildert. Mir war auch nicht klar, wie wesentlich das Denken dieser Menschen für die 68er Bewegung war. Gelegentlich fragte ich mich, was denn so besonders daran war, das eigene Denken so zu huldigen und das Individuum und seine Existenz so in den Mittelpunkt zu stellen. Für uns sind viele Gedanken heute so selbstverständlich, dass sich die Faszination erst dann erschließt, wenn man vor Augen geführt bekommt, wie gering der Existenz des Einzelnen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts geschätzt wurde. In der Psychologie wurden nicht mehr Symptome behandelt, sondern das Individuum und seine Vita betrachtet. Wie kann man Psychologie betreiben, ohne den Menschen als Individuum zu betrachten? Welche bahnbrechende Gedanken diese Menschen hatten. Sehr lesenswert.
Sarah Bakewells erzählt berichtet über viele Verästelungen in denen der Existenzialismus auch heute noch in anderen Werken der Kunst und des alltäglichen Lebens zu finden ist. Insbesondere die Einflüsse auf die Filmindustrie ist beeindruckend geschildert. Mir war auch nicht klar, wie wesentlich das Denken dieser Menschen für die 68er Bewegung war. Gelegentlich fragte ich mich, was denn so besonders daran war, das eigene Denken so zu huldigen und das Individuum und seine Existenz so in den Mittelpunkt zu stellen. Für uns sind viele Gedanken heute so selbstverständlich, dass sich die Faszination erst dann erschließt, wenn man vor Augen geführt bekommt, wie gering der Existenz des Einzelnen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts geschätzt wurde. In der Psychologie wurden nicht mehr Symptome behandelt, sondern das Individuum und seine Vita betrachtet. Wie kann man Psychologie betreiben, ohne den Menschen als Individuum zu betrachten? Welche bahnbrechende Gedanken diese Menschen hatten. Sehr lesenswert.
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Das Café der Existenzialisten.
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Reading Progress
July 13, 2022
– Shelved
November 1, 2022
–
Started Reading
November 2, 2022
–
5.99%
"Aufgrund des unnötig banalen Untertitels wäre ich nicht auf die Idee gekommen, nach dem Buch zu greifen. Aber Frau und Tochter waren so begeistert, dass ich verpflichtend wurde, mich ins Cafe zu de Beauvoir und Sartre zu setzen. Und bislang fühle ich mich da auch ganz wohl, denn viele philosophische Zusammenhänge waren mir bislang nicht klar."
page
32
November 15, 2022
–
24.72%
"Eine relativ leicht zu lesende Einführung in den Existenzialimus und die Phänomenologie. Genau das richige Niveau für mich. Ausnahme sind die Auszüge aus "Sein und Zeit" von Martin Heidegger.
"Die Kunst ist die im Wesen des Willens zur Macht gesetzte Bedingung dafür, dass er als der Wille, der er ist, in die Macht steigen und sie steigern kann. Der Mensch ist nicht der Herr des Seienden, er ist der Hirt des Seins.""
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132
"Die Kunst ist die im Wesen des Willens zur Macht gesetzte Bedingung dafür, dass er als der Wille, der er ist, in die Macht steigen und sie steigern kann. Der Mensch ist nicht der Herr des Seienden, er ist der Hirt des Seins.""
November 26, 2022
–
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message 1:
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Anna Carina
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Nov 26, 2022 10:42AM

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(Sorry, meine Frau und meine Tochter sind hier auf GR! ;) )

Ich weiß nicht, ob es das, was ich geschrieben habe, hilft, aber ich dachte, es könnte ein weiteres Licht auf den Komplex Existentialismus-Existenzialphilosophie werfen, die ständig zusammengeworfen werden.
Existentialismus: Hume-->Fichte-->Nietzsche-->Sartre und
Existenzialphilosophie: Platon-->Nikolaus von Kues-->Hegel-->Heidegger.
Ich werde dennoch gerne mal in dieses Buch schauen! Danke für den Lesebericht.

Dein Hinweis zur Unterscheidung von Existenzialismus und Existenzialphilosophie fand ich hilfreich. Diese explizite sprachliche Trennung hat die Autorin nicht vorgenommen, aber mit anderen Worten umschrieben. Prinzipiell finde ich es viel einfacher, mich über die fiktionale Literatur von Sartre und Camus dem Thema zu nähern, als mir die reine Lehre wie bei Heidegger zu Gemüte zu führen. Das ist Sarah Bakewell hoch anzurechnen, dass sie versucht zu beschreiben, wie die Philosophie bei dem Franzosen aus dem Leben entstand. Sartre, de Beauvoir und Aron saßen da 1937 in einem Café in Paris und haben tatsächlich über Aprikosencocktails und Kellner philosophiert. So albern der Untertitel klingt, er entsprach wohl der Realität. Aber Heidegger da oben in seiner Hütte in Todtnauberg, dem fehlte offensichtlich das alltägliche Leben der meisten Menschen. Kein Wunder, dass sein Sinnbild ein Begriff aus der waldartigen Natur ist.