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Eurotrash
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Anna Carina's review
bookshelves: 001-21-jahrhundert, 071-schweiz, 070-europa-mittel-sued-west
Nov 04, 2021
bookshelves: 001-21-jahrhundert, 071-schweiz, 070-europa-mittel-sued-west
Read 2 times. Last read November 21, 2023 to November 24, 2023.
Rezenzion nach dem 2. Read:
Eurotrash ist das Nichts und die Leere - eine Scheinrebellion, eine Illusion von Autonomie und Widerstand, ein symbolischer Ausbruch aus dem System.
Eurotrash ist Identitätsverweigerung � man schwimmt im Becken der Geschichtsfetischierung, die unabhängig von menschlichem Handeln und Intentionen zu existieren scheint. Christian, der Icherzähler nimmt sich als Subjekt aus der Rechnung raus. Er ist Opfer der Geschichte, Opfer des Systems, der Normen und Werte. Man arrangierte sich mit dem feudalistischen Vater, gab ja Geld. Man reist Jahrzehnte durch die Welt und lebt ständig in der Vergangenheit. Man fügt sich dem System, das man verachtet, einen einengt und spielt in der Show der Masken, Angebereien und Unaufrichtigkeit mit - völlige Passivität. Er geht nur auf ein Borges-Festival um mit seiner Bildung anzugeben.
Er fließt als Erzähler aus der Geschichte, ist überall und Niemand.
Will dennoch den Kreis durchbrechen. Wünscht einen Bruch. Erkennt, man steckt fest.
Also los! Die Mama, Rollator, Flasche Wodka und die Pillen geschnappt, rein ins Taxi und ab geht die wilde Fahrt durch die Schweiz. Munter, fröhlich, grotesk ziehen sie ihre Schleifen. Entsorgt den Müll Geld. Geschichten werden erzählt. Man bedient sich sämtlicher literarischer Referenzen, alles begegnet einem wieder. Die Literatur und Kultur als Flucht vor der Realität, das ewig Gleiche.
Authentisch ist nur der künstliche Darmausgang.
Der Roadtrip wird zur leeren Geste. Man stellt sich nicht sich selbst. Keine Konfrontation mit der Realität. Die Angst vor dem Schmerz des selbstbestimmten Handelns und der Begegnung mit dem Unaussprechlichen ist zu groß.
Vielleicht ist das Problem auch schlicht weg, wie Christian selbst bemerkt, dass er nie Hegel gelesen hat. Da wir in dem Buch aber so viele doppelte Böden haben, gehe ich davon aus, dass er doch irgendwann in den Hegel gefallen ist und mit diesem Buch den Stinkefinger in Richtung dynamischen Prozess erhebt.
Und so endet das Buch mit der Entscheidung in einem Zustand des imaginären Scheins zu bleiben.
Der Durchbruch des Kreises war nie ernsthafte Intention.
Was bleibt ist das Nichts, das bereits Haldor Laxness in Am Gletscher beschreibt.
Dieses Nichts hätten Christian und seine Mutter in der Schlüsselszene am Gletscher, auf der Suche nach dem Edelweiß füllen können. Katharsis.
Nun bleibt es jedem überlassen wie er den Roman Haldor Laxness interpretiert und wie Christian Kracht diesen gelesen hat. Er entscheidet sich jedenfalls dagegen zu erzählen was zählt, was für ihn Wahrheit bedeutet.Er entscheidet sich dagegen in der Isolation eine einzigartige Dynamik mit eigenen Regeln zu schaffen. Er entscheidet sich gegen Öffnung, gegen Vielseitigkeit und Wandelbarkeit aus sich selbst heraus. Entscheidung gegen Liebe zur Freiheit, Unabhängigkeit und den Möglichkeiten die das Leben bietet. Er entscheidet sich gegen Verantwortung.
Maske sitzt und weggeduckt.
2 Sterne, weil ich die Leere durchaus unterhaltsam fand.
_____________________________________________________________
Rezension des ersten Reads: 4 Sterne
Da hat mir Faserland doch einen Tacken besser gefallen.
Diesen triefenden Sarkasmus Faserlands konnte ich in Eurotrash zwar wiederfinden, aber nicht in dieser göttlichen Konsequenz.
Oh es war deprimierend schön und für mich völlig ok, dass der Roadtrip nur im Kreisverkehr, des Versuches der Aufarbeitung statt fand, das ewige Schweigen, schweigsam blieb.
Familientraumata, das Leben im Schein und Sein- wie soll man da "Normal bleiben"?
Gar nicht.... Deshalb nehmen wir diesen Surrealen Trip auf uns und landen immer wieder bei Borges. Was ist Wahr, was ist Fiktion, welche Geschichte dient einer weiteren Metaebene? Ja Christian, Du kannst so schön Geschichten erzählen- mich hat's dann gegen Ende ein bisschen eingelullt, als wäre Herr Kracht zu sehr von sich selbst gelangweilt oder von sich als fiktiver Person, die sich selbst in einen Roman geschrieben hat.
Eurotrash ist das Nichts und die Leere - eine Scheinrebellion, eine Illusion von Autonomie und Widerstand, ein symbolischer Ausbruch aus dem System.
Eurotrash ist Identitätsverweigerung � man schwimmt im Becken der Geschichtsfetischierung, die unabhängig von menschlichem Handeln und Intentionen zu existieren scheint. Christian, der Icherzähler nimmt sich als Subjekt aus der Rechnung raus. Er ist Opfer der Geschichte, Opfer des Systems, der Normen und Werte. Man arrangierte sich mit dem feudalistischen Vater, gab ja Geld. Man reist Jahrzehnte durch die Welt und lebt ständig in der Vergangenheit. Man fügt sich dem System, das man verachtet, einen einengt und spielt in der Show der Masken, Angebereien und Unaufrichtigkeit mit - völlige Passivität. Er geht nur auf ein Borges-Festival um mit seiner Bildung anzugeben.
Er fließt als Erzähler aus der Geschichte, ist überall und Niemand.
Will dennoch den Kreis durchbrechen. Wünscht einen Bruch. Erkennt, man steckt fest.
Also los! Die Mama, Rollator, Flasche Wodka und die Pillen geschnappt, rein ins Taxi und ab geht die wilde Fahrt durch die Schweiz. Munter, fröhlich, grotesk ziehen sie ihre Schleifen. Entsorgt den Müll Geld. Geschichten werden erzählt. Man bedient sich sämtlicher literarischer Referenzen, alles begegnet einem wieder. Die Literatur und Kultur als Flucht vor der Realität, das ewig Gleiche.
Authentisch ist nur der künstliche Darmausgang.
Der Roadtrip wird zur leeren Geste. Man stellt sich nicht sich selbst. Keine Konfrontation mit der Realität. Die Angst vor dem Schmerz des selbstbestimmten Handelns und der Begegnung mit dem Unaussprechlichen ist zu groß.
Vielleicht ist das Problem auch schlicht weg, wie Christian selbst bemerkt, dass er nie Hegel gelesen hat. Da wir in dem Buch aber so viele doppelte Böden haben, gehe ich davon aus, dass er doch irgendwann in den Hegel gefallen ist und mit diesem Buch den Stinkefinger in Richtung dynamischen Prozess erhebt.
Und so endet das Buch mit der Entscheidung in einem Zustand des imaginären Scheins zu bleiben.
Der Durchbruch des Kreises war nie ernsthafte Intention.
Was bleibt ist das Nichts, das bereits Haldor Laxness in Am Gletscher beschreibt.
Dieses Nichts hätten Christian und seine Mutter in der Schlüsselszene am Gletscher, auf der Suche nach dem Edelweiß füllen können. Katharsis.
Nun bleibt es jedem überlassen wie er den Roman Haldor Laxness interpretiert und wie Christian Kracht diesen gelesen hat. Er entscheidet sich jedenfalls dagegen zu erzählen was zählt, was für ihn Wahrheit bedeutet.Er entscheidet sich dagegen in der Isolation eine einzigartige Dynamik mit eigenen Regeln zu schaffen. Er entscheidet sich gegen Öffnung, gegen Vielseitigkeit und Wandelbarkeit aus sich selbst heraus. Entscheidung gegen Liebe zur Freiheit, Unabhängigkeit und den Möglichkeiten die das Leben bietet. Er entscheidet sich gegen Verantwortung.
Maske sitzt und weggeduckt.
2 Sterne, weil ich die Leere durchaus unterhaltsam fand.
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Rezension des ersten Reads: 4 Sterne
Da hat mir Faserland doch einen Tacken besser gefallen.
Diesen triefenden Sarkasmus Faserlands konnte ich in Eurotrash zwar wiederfinden, aber nicht in dieser göttlichen Konsequenz.
Oh es war deprimierend schön und für mich völlig ok, dass der Roadtrip nur im Kreisverkehr, des Versuches der Aufarbeitung statt fand, das ewige Schweigen, schweigsam blieb.
Familientraumata, das Leben im Schein und Sein- wie soll man da "Normal bleiben"?
Gar nicht.... Deshalb nehmen wir diesen Surrealen Trip auf uns und landen immer wieder bei Borges. Was ist Wahr, was ist Fiktion, welche Geschichte dient einer weiteren Metaebene? Ja Christian, Du kannst so schön Geschichten erzählen- mich hat's dann gegen Ende ein bisschen eingelullt, als wäre Herr Kracht zu sehr von sich selbst gelangweilt oder von sich als fiktiver Person, die sich selbst in einen Roman geschrieben hat.
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November 3, 2021
–
Started Reading
November 3, 2021
– Shelved
November 3, 2021
–
9.57%
"Spotify macht's möglich. Das selbsteingelesene Hörbuch von Kracht.
Beginnt schon genauso deprimierend und schneidend wie Faserland aufgehört hat 🤩
Herr Kracht liest das etwas gelangweilt vor... nun ja."
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20
Beginnt schon genauso deprimierend und schneidend wie Faserland aufgehört hat 🤩
Herr Kracht liest das etwas gelangweilt vor... nun ja."
November 4, 2021
–
Finished Reading
November 21, 2023
–
Started Reading
November 21, 2023
–
29.0%
"Liest sich wunderbar als stilistischer Gegenpol zu "die Wellen".
Kracht arbeitet mit einer mächtigen symbolischen Ordnung,die keine Dynamik kennt.Er spricht von Geschichtsfetisch-Geschichte als Objekt der Verehrung.Man steckt fest,bleibt in einer Schleife gefangen,wünscht sich einen Bruch für Veränderung.Das menschliche Subjekt bekommt aber keine Handlungsmacht,es ordnet sich trotz Kritik dem Code der Systeme unter."
Kracht arbeitet mit einer mächtigen symbolischen Ordnung,die keine Dynamik kennt.Er spricht von Geschichtsfetisch-Geschichte als Objekt der Verehrung.Man steckt fest,bleibt in einer Schleife gefangen,wünscht sich einen Bruch für Veränderung.Das menschliche Subjekt bekommt aber keine Handlungsmacht,es ordnet sich trotz Kritik dem Code der Systeme unter."
November 23, 2023
–
50.0%
"Mir fällt jetzt erst auf, dass die Geschichten die Christian seiner Mutter erzählt, Ideen aus anderen literarischen Texten entnehmen .
Ich les das Buch als Kommentar zum Zustand der zeitgenössischen Kultur, der fehlenden Originalität durch die endlose Reproduktion des immer Gleichen.
Zudem Unaufrichtigkeit die paradoxerweise authentisch ist.
Noch führt das aber zu nix und hängt lose im Raum."
Ich les das Buch als Kommentar zum Zustand der zeitgenössischen Kultur, der fehlenden Originalität durch die endlose Reproduktion des immer Gleichen.
Zudem Unaufrichtigkeit die paradoxerweise authentisch ist.
Noch führt das aber zu nix und hängt lose im Raum."
November 24, 2023
–
Finished Reading
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message 1:
by
Sandra
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-
rated it 5 stars
Nov 05, 2021 12:31AM

reply
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Ich werde es demnächst nochmal zur Hand nehmen. Hätte auch Eurotrash mit der Erkenntnis der Leere wohlwollend annehmen können, wenn ich es nicht als bewusste Verweigerungshaltung, sich als aktives Subjekt zu sehen, gelesen hätte.


Aus Psychoanalystischer Sicht könnte man das so sehen. Kindliches Verhalten, Rückzug und Ablehnen von Verantwortung. Allerdings auf eine sehr spezifische Weise, da er nicht an der alten Ordnung festhält. In der Soziologie verstehe ich regressives Verhalten als etwas, das bewusst an gewissen Machtstrukturen festhält und aktiv dafür eintritt. Aus dieser Perspektive würde ich sagen, es ist kein regressives Verhalten.
Ehr eine Vermeidungsstrategie. Seine Geschichten und der symbolische Roadtrip sind seine eigene Illusion in die er sich webt.
Das Paradoxe ist ja, da er sich so in dieser Welt des Scheins und Seins, der Unauthentizität und ewig Gleichen, so sicher authentisch bewegt, indem er das Spiel zur Perfektion mitspielt, müsste es als die perfekte Auflehnung gegen das System gelesen werden. Er hält der Gesellschaft den Spiegel vor, wie absurd dieses Theater ist, indem er voll darin aufgeht. Eigentlich. Aber, und hier kommt der Bruch: er ist darin nicht konsequent und fügt wieder Kritik in seine perfekte Show ein und zerbröselt es zur Leere, indem er so tut, als wolle er doch etwas ändern. Er verzettelt sich in Meta, meta, mata... und alles bleibt wie es ist. Er spielt ein Spiel, dem er selbst nicht mehr Herr ist. Hat sich von Beginn an schon mit im Gulli entsorgt.

Also eigentlich bin ich auf die "Nichts"-Parallele nur durch Deine Rezi gekommen. Schon ulkig, dass Du sagst, du hättest das verpasst 🤭

